Vorglühen, bevor es auf eine Party geht, und dort weitertrinken bis zum Totalausfall: Komasaufen war jahrelang ein Jugendphänomen. Doch es gibt eine gute Nachricht: Die Prävention in Rosenheim greift. Mit einer Alkoholvergiftung kamen 2014 laut einer Erhebung der DAK 20 Kinder und Jugendliche ins Krankenhaus, das waren immerhin 25,9 Prozent weniger als noch im Vorjahr.
–Der vernünftige Umgang mit Alkohol steht in Rosenheim auf dem Stundenplan: Es gibt so gut wie keinen Schüler, der in der siebten oder achten Klasse nicht an einem Präventionsprogramm teilgenommen hat – etwa am Planspiel „voll die Party“. Dabei spielen Jugendliche nach, wie sie sich auf einer simulierten Feier verhalten würden – etwa, wenn sie typische Situationen erleben: Gruppendruck, dem sich Jugendliche oft nur schwer entziehen können, die Sorge um Freunde,die sich betrinken. „Die pädagogisch angeleitete Auswertungder Geschehnisse auf der simulierten Party bewirkt bei den Schülern eine Betroffenheit und schafft dadurch die Basis für eine produktive Auswertung des Erlebten“, stellt Ludwig Binder, Geschäftsführer bei der Präventions- und Beratungs- sowie Suchthilfestelle Neon fest. Ziel sei es, dass Teenager eigene Verhaltensmuster reflexieren und neu bewerten – „und dass ihnen ein gesundheitsbewusster, maßvoller Umgang mit Alkohol gelingt“, erklärt Neon-Geschäftsführer Binder.
Der Rückgang der Behandlungszahlen von Jugendlichen mit Alkoholvergiftung ist nach seinen Informationen nicht nur ein positiver Trend in der Stadt Rosenheim. Neon verweist auf repräsentative Befragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Danach verzichten immer mehr Zwölf- bis 15-Jährige auf Alkohol und es sind in dieser Altersgruppe auch die riskanteren Formen des Konsums rückläufig. Dieser positive Trend gilt auch für männliche Jugendliche ab 16 und junge Erwachsene bis 25 Jahren, allerdings nicht bei den Frauen dieser Altersklassen.
Tatsache ist laut Binder, dass die Sensibilität gegenüber den Gefahren von Alkohol gestiegen ist. Dies führte auch dazu, dass besorgte Freunde im Notfall schneller nach dem Sanka rufen. Monika Schindler von der Koordinierungsstelle für Suchtprävention bei der Diakonie ist überzeugt: „Die umfangreiche Aufklärung hat dafür gesorgt, dass Jugendliche nicht länger wegschauen, wenn Gleichaltrige sich einen starken Rausch antrinken.“ Sie versuchten vielmehr, auf die Freundin oder den Freund einzuwirken, seien eher bereit als früher, sich Hilfe zu holen.
Die Präventionsfachkräfte der Suchtfachambulanz gehen bei der Aufklärung dorthin, wo sich die Jugend aufhält: in Schulen, zu Firmgruppen, auf Großveranstaltungen wie die Wiesn, den Christkindlmarkt oder demnächst beim Fasching. Dort sprechen die Berater Teenager direkt an, führen zwanglose Gespräche, laden zu einem Alkoholquiz ein. Die Prävention ohne den gehobenen Zeigefinger, vermittelt durch geschulte Mitarbeiter, stärkt nach Erfahrungen von Monika Schindler die Sensibilität gegenüber den Gefahren des Alkohols – und liefert ganz konkrete Anleitungen für den Fall, dass eine Party doch einmal aus dem Ruder läuft.
Hilfe im Klinikum direkt nach Absturz
Für 20 Kinder und Jugendliche – 13 Jungen und sieben Mädchen – endete dies 2014 im Klinikum. Betroffene, die eingeliefert werden, bekommen auf Wunsch noch am Krankenhausbett Besuch von Mitarbeitern des Projektes „Halt“ – „hart am Limit“. In Gesprächen mit den Patienten wird geklärt, wie es zum Absturz kam und wie ein solches Vorkommnis in Zukunft verhindert werden kann. Die Betroffenen werden außerdem eingeladen, an einem weiteren Treffen mit Risiko-Check teilzunehmen.
Dass das Komasaufen abnimmt, liegt nach Erfahrungen von Neon auch daran, dass in Rosenheim Stadt, Schulen, Polizei, Veranstalter, Einzelhandel und Beratungsstellen sowie Krankenkassen eng zusammenarbeiten und die Vorschriften des Jugendschutzes meist eingehalten werden. Mitarbeiter aus dem Einzelhandel werden ebenso intensiv geschult wie die Teams der Tankstellen und Security-Kräfte bei öffentlichen Feiern. Kampagnen wie der Kunstwettbewerb „bunt statt blau“ der DAK unterstützen die Präventionsarbeit.
Trotzdem weist Binder darauf hin, dass es jugendliche Hochrisikogruppen gibt, die durch die Präventionsangebote nicht erreicht werden: Teenager und junge Erwachsene, die nicht organisiert sind, also sich keinem Verein angeschlossen haben, keiner sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgehen, keinen Halt in der Familie oder im Freundeskreis finden, zum Trinken eher an öffentliche Plätze gehen oder abgelegene Orte aufsuchen.
„Ein junger Fußballer, der nach einem Sieg seiner Mannschaft so intensiv gefeiert hat, dass er total betrunken war, wird dies in der Regel am folgenden Wochenende nicht erneut tun, wenn ein wichtiges Spiel ansteht und die Gefahr besteht, dass der Trainer ihn aus dem Team nimmt“, nennt Binder als Beispiel. Junge Leute, die keinen Grund hätten, am nächsten Tag fit zu sein, würden häufiger erneut zur Flasche greifen und wieder in riskante Trinkmuster verfallen.
Quelle: OVB Online